Warum feiern wir eigentlich... Feiertage? Ursprünge und Traditionen erklärt
- Living in Season
- 11. Juni
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juli
Das Schöne an Feiertagen ist ihre verlässliche Wiederkehr. Sie gehören zu den wenigen Konstanten in einem Leben voller Veränderungen. Jahreszeiten kommen und gehen – und mit ihnen Karneval, Ostern, Halloween, Weihnachten oder Silvester. Viele dieser Feste haben sich über Jahrhunderte hinweg aus ganz unterschiedlichen Einflüssen entwickelt. Ihre Wurzeln reichen tief: in die Geschichte, in unsere Kultur, in unsere Psyche und ins gemeinsame Erleben. Wir legen die Arbeit nieder, verbringen den Tag in Gemeinschaft, essen besondere Speisen, zünden Kerzen an oder tanzen ums Feuer.
Aber warum eigentlich? Wenn man einmal Abstand nimmt – sagen wir, aus der Perspektive eines Aliens, das die Menschheit neu kennenlernt – wirkt es schon etwas absurd, sich jedes Jahr im Dezember einen Nadelbaum ins Wohnzimmer zu stellen. Oder im Frühling bunte Eier zu verstecken. Doch gerade in dieser vermeintlichen Absurdität liegt etwas zutiefst Menschliches. Es sind genau solche Rituale, die isoliert betrachtet sinnlos wirken, aber im Kontext eines Feiertages Vertrautheit schaffen. Sie geben Struktur, wecken Erinnerungen, stiften Gemeinschaft und erlauben uns, für einen Moment aus dem Alltag auszubrechen. Feiertage sind wirklich faszinierend... Doch wann fing eigentlich alles an?

Historischer Ursprung: Feiertage sind tief in uns verankert
Feiertage sind kein modernes Phänomen und die Idee, bestimmte Tage „aus der Zeit“ herauszuheben, ist uralt. Schon steinzeitliche Gemeinschaften dürften bestimmte Zeiträume durch Rituale hervorgehoben haben – etwa zur Sonnenwende, zur Jagdsaison oder in Verbindung mit Fruchtbarkeit und Tod. Monumente wie die Kreisgrabenanlage von Goseck (ca. 7000 v. Chr.), Newgrange in Irland (ca. 3200 v. Chr.) oder Stonehenge in England (ab ca. 3100 v. Chr.) zeigen, dass bestimmte Zeiträume im Jahr schon sehr früh besondere Bedeutung hatten und zwar lange bevor es überhaupt schriftliche Kalender gab. Beide Bauwerke sind so ausgerichtet, dass sie zur Winter- oder Sommersonnenwende besondere Lichtphänomene erzeugen – ein Hinweis darauf, dass diese Tage gezielt markiert und rituell begangen wurden. Auch wenn diese Feste nicht genau datiert waren, deutet vieles darauf hin, dass Menschen bereits damals ein ausgeprägtes Gespür für den Rhythmus der Natur hatten.
Es gibt verschiedene Hinweise und Theorien dazu, was die Motivation hinter Bauwerken wie der Kreisgrabenanlage von Goseck, Newgrange oder Stonehenge war, auch wenn wir es nie mit letzter Sicherheit wissen können. So könnten diese Monumente zur Orientierung im Jahreslauf gedient haben, etwa um Sonnenwenden zu erkennen und den richtigen Zeitpunkt für Aussaat oder Ernte zu bestimmen. Gleichzeitig deuten Ausrichtung und Bauweise auf rituelle Feiern hin, bei denen Lichtphänomene eine symbolische Rolle spielten. Auch Jenseitsvorstellungen könnten eine Rolle gespielt haben, denn bei Newgrange handelt es sich eindeutig um eine Grabanlage, in der menschliche Überreste gefunden wurden. Stonehenge war zwar keine klassische Grabanlage, diente aber in Teilen ebenfalls der Bestattung. Schließlich hatten solche Bauwerke vermutlich auch eine soziale Funktion: Sie stärkten das Gemeinschaftsgefühl und erlaubten es religiösen oder politischen Eliten, sich als Vermittler zwischen Mensch und Kosmos zu inszenieren.
Doch um wiederkehrende Anlässe gezielt feiern zu können braucht es ein verlässliches Kalendersystem. Solche Systeme entstanden erst mit den ersten Hochkulturen ab ca. 3000 v. Chr., etwa in Mesopotamien, wo ein lunisolarer Kalender entwickelt wurde, oder in Ägypten, das bereits über einen Sonnenkalender mit 365 Tagen verfügte. Ohne solche Systeme wüsste man zum Beispiel gar nicht, wann jemand Geburtstag hat (wie hier im Detail beschrieben). Schon in diesen frühen Hochkulturen wurden dann bestimmte Tage dem Gedenken, der Erneuerung oder der Bitte an höhere Mächte gewidmet, angepasst an die natürlichen Zyklen.
In der Bronzezeit (ca. 2200–800 v. Chr.) entstanden auch in Europa eigenständige agrarische und pastorale Traditionen. Auch wenn es sich oft eher um mündlich überlieferte Rituale als um geregelte Feiertage handelte, bildeten sie eine wichtige Grundlage für spätere festliche Traditionen. Der Jahreslauf war eng mit der Arbeit auf dem Feld, mit Gemeinschaft und Glaube verknüpft – häufig ohne schriftliche Fixierung, aber mit tiefer symbolischer Bedeutung.
Später griff das Christentum viele heidnische Bräuche auf – teils übernahm man Inhalte, teils passte man christliche Feiertage an bestehende Termine an. Weihnachten etwa wird am 25. Dezember gefeiert, möglicherweise in Anlehnung an das römische Sonnenfest Sol Invictus, das zur Wintersonnenwende stattfand (wenngleich sich eine andere Erklärung auf symbolische Theologie stützt: Der 25. März galt als Tag der Empfängnis Jesu, weil man ihn im Altertum mit dem Frühlingsanfang als Beginn des Lichts und zugleich mit dem Tag von Jesu Kreuzigung gleichsetzte. Es gab die Vorstellung, dass bedeutende Menschen an dem Tag starben, an dem sie auch empfangen wurden – eine Art „vollkommener Lebenskreis“. Nach dieser Logik begann Jesu irdisches Leben genau neun Monate später, also am 25. Dezember). Auch Halloween hat ältere Wurzeln: Es fällt auf den Vorabend von Allerheiligen am 1. November. Das keltische Fest Samhain wurde etwa zur gleichen Zeit gefeiert und markierte das Ende des Erntejahres und den Beginn der dunklen Jahreszeit – eine Schwellenzeit, in der man die Nähe zur Geisterwelt spürte. Möglicherweise wurde Allerheiligen bewusst auf dieses Datum gelegt, um das heidnische Fest zu überlagern, auch wenn der Zusammenhang historisch nicht eindeutig belegt ist.
Pessach ist vermutlich das älteste Fest, das bis heute gefeiert wird. Es entstand wahrscheinlich schon etwa 1200 bis 1000 Jahre vor Christus und wird seit etwa 700 vor Christus auch schriftlich erwähnt. Die Wintersonnenwende wurde sogar schon um 3200 vor Christus rituell markiert – etwa in Newgrange (Irland) –, lebt heute aber nur noch in veränderter Form weiter, zum Beispiel als Weihnachten oder Julfest. Auch Halloween geht auf ein sehr altes Fest zurück: das keltische Samhain, das seit 500 vor Christus gefeiert wurde.
Ab dem 19. Jahrhundert kamen schließlich auch staatliche und politische Feiertage hinzu, also Nationalfeiertage, Verfassungs- oder Gedenktage. Heute spiegeln Feiertage daher nicht nur spirituelle, sondern auch historische, soziale und politische Entwicklungen wider.
Feiertage als soziale Synchronisation
Aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht erfüllen Feiertage eine zentrale Funktion: Sie stiften soziale Ordnung und kollektive Identität. Für das soziale Gefüge einer Gesellschaft braucht es gemeinsame Bezugspunkte, also Anlässe, bei denen man sich als Teil eines größeren Ganzen erlebt. Feiertage strukturieren das Jahr, schaffen Rituale der Wiederholung und ermöglichen Synchronisation: Wir machen zur selben Zeit dasselbe wie viele andere und fühlen uns dadurch verbunden.
Der Soziologe Amitai Etzioni unterscheidet zwei Typen von Feiertagen. Tension Management Holidays (Spannungsabbau-Feiertage) dienen dazu, gesellschaftliche Spannungen durch kontrollierte Regelverstöße abzubauen. Beispiele sind Karneval, Halloween oder Silvester. Es darf übertrieben, gelacht und genossen werden – ohne die bestehende Ordnung grundsätzlich infrage zu stellen. Recommitment Holidays (Wiederverpflichtungs-Feiertage) stärken Werte, Normen und Zusammenhalt, etwa durch familiäre Rituale, religiöse Zeremonien oder nationale Gedenkveranstaltungen.
In der Praxis lassen sich viele Feiertage nicht klar zuordnen. Weihnachten etwa enthält Elemente von beidem, z.B. familiäre Verbundenheit, aber auch Geschenke, Völlerei und Konsum. Auch Karneval kann sowohl ausgelassenes Ventil als auch „Veedels-Gemeinschaftsritual“ sein.
Der 1. Mai ist für einige ein politisches Statement, für andere einfach ein freier Tag im Frühling mit Grillfest. Diese Ambivalenz ist kein Mangel, sondern genau das, was Feiertage so anpassungsfähig und langlebig macht. Feiertage bewegen sich also auf einem Spektrum und ihre Wirkung hängt vom sozialen Kontext sowie der individuellen Praxis ab.
Feiertage als emotionale Fixpunkte
Feiertage sind aber nicht nur gesellschaftliche, sondern auch zutiefst persönliche Ereignisse. Sie schaffen emotionale Anker im Jahr, die zum Selbstbild beitragen, z.B. Erinnerungen ans Plätzchenbacken in der Adventszeit oder die Ostereiersuche aus Kindheitstagen. All das sind biografische Marker, die sich tief einprägen. Zudem erlauben uns Feiertage, andere Seiten von uns zu zeigen oder andere Facetten zu erleben, die nicht alltäglich sind: das festliche Outfit an Silvester, die Verkleidung im Karneval, das Schauen gruseliger Filme an Halloween. All das sind Ausbrüche aus dem Alltag und die Art und Weise wie wir sie begehen, sagt viel über uns aus.
Das bedeutet auch: Der "Zugang" zu einem Feiertag ist individuell. Viele der in Europa gefeierten Feiertage und Traditionen tragen eine christliche Prägung, selbst wenn sie Spuren älterer oder vielfältiger Einflüsse in sich tragen. Doch auch ohne religiöse Deutung können sie Sinn stiften: Wer Feiertage säkular interpretiert, feiert nicht aus Glaubenspflicht, sondern aus innerem Bedürfnis. Im Zentrum stehen dann nicht die religiöse Auslegung, sondern universelle Werte wie Familie, Freundschaft, Naturverbundenheit und ein bewusster Anlass, innezuhalten und das Leben im Einklang mit dem Rhythmus der Jahreszeiten zu gestalten. Die religiösen Ursprünge bleiben dabei sichtbar – aber ohne Verpflichtung. Man kann die historischen Wurzeln und spirituellen Botschaften vieler Feste anerkennen und würdigen, ohne sich ihrer religiösen Interpretation anschließen zu müssen.
Und auch hier gilt wieder: In der Realität verschwimmen die theoretischen "Schubladen" von Feiertagen oft und im Alltag erleben wir meist gelebte Mischformen. Weihnachten kann für eine Person ein religiöses Hochfest, für eine andere ein Lichterfest mit Geschenken und für eine dritte ein Gefühl von Kindheit und Geborgenheit bedeuten - und manchmal eben alles gleichzeitig. Karneval wird für manche als religiös begründeter Ausnahmezustand, für andere als kulturelle Tradition oder als Ausbruch aus dem Alltag gelebt, oft ohne bewusste Einordnung. Genauso bestimmt die eigene kulturelle Prägung, was Teil des persönlichen „Feiertagsinventars“ ist. Weihnachten oder das Fest des Fastenbrechens nach dem Ramadan können dazugehören, weil sie Teil der eigenen Biografie oder des familiären Hintergrunds sind. Thanksgiving oder St. Patrick’s Day sind vielen Menschen in Deutschland zwar bekannt oder sogar sympathisch, werden aber, wenn sie nicht zur eigenen Kultur gehören, nicht begangen. Es sei denn, man heiratet eine Amerikanerin oder einen Iren oder wandert aus, dann bekommt der Feiertag womöglich eine ganz neue Bedeutung. 😉
Im Rahmen der individuellen Interpretation werden auch religiöse Rituale gerne übernommen, etwa das Fischessen an Karfreitag oder das Aufstellen einer Krippe zu Weihnachten, mal aus religiöser Verbundenheit, manchmal aus Wertschätzung für die symbolische Bedeutung und die kulturelle Tradition, die damit verbunden sind. Und manchmal auch, weil's halt "einfach so gemacht wird"... Aber warum eigentlich?
Ritual, Tradition, Brauchtum – was ist was?
Ein Ritual ist eine symbolische, wiederholte Handlung mit besonderer Bedeutung. Schon der Soziologe Émile Durkheim betonte, dass Rituale eine zentrale Rolle dabei spielen, soziale Bindung zu erzeugen und kollektive Identität zu stiften. Rituale strukturieren das Leben, geben Halt, machen Werte spürbar und stiften Gemeinschaft. Oft wirken sie seltsam, wenn man sie isoliert betrachtet – wie das Schnitzen eines Kürbis. Aber eingebettet in einen speziellen Kontext entfalten sie ihre Wirkung. Rituale folgen daher nicht immer einer logischen Notwendigkeit, sondern leben vor allem von Emotion und Gemeinschaft.
Wenn ein Ritual dann regelmäßig im selben Rahmen ausgeführt wird entsteht daraus ein kollektives Erlebnis. So entsteht eine Tradition. Diese Tradition wird durch Nachahmung, Erziehung oder mediale Darstellung gestärkt: eine weitergegebene Praxis mit Wiedererkennungswert. So ist es beispielsweise in einer Gesellschaft Tradition, dass Geburtstagskinder beschenkt werden.
Übrigens: Auch sogenannte „erfundene Traditionen“ (wie sie z. B. Historiker wie Eric Hobsbawm beschreiben) sind Teil unserer Kultur – sie wirken authentisch, obwohl sie bewusst ins Leben gerufen wurden, etwa von Institutionen oder Medien. Ein Beispiel ist der schottische Kilt: In seiner heutigen Form ist er keine uralte Tradition, sondern wurde im 18. und 19. Jahrhundert gezielt als nationales Symbol gefördert – unter anderem von der britischen Elite. So wurde er im Laufe der Zeit doch zu einer echten Tradition und allmählich zu einem festen Bestandteil der schottischen Kultur.
Als Brauchtum bezeichnet man schließlich die Gesamtheit von Traditionen innerhalb einer Region oder Kultur, meist mit festem Jahresbezug. Brauchtum ist also die soziale und kulturelle Verankerung von Traditionen in einer bestimmten Gesellschaft. Oder wie wir in Köln sagen: „Beim ersten Mal haben wir’s ausprobiert, beim zweiten Mal ist es schon Tradition und beim dritten Mal Brauchtum!“ 😉
Fazit: Feiertage als Spiegel der Gesellschaft. Oder: Die Feste feiern wie sie fallen
Feiertage sind weit mehr als ein freier Tag im Kalender. Sie markieren den Rhythmus des Jahres, den Wechsel der Jahreszeiten, den Kreislauf des Lebens, Momente der Einkehr, des Aufbruchs oder des Miteinanders. Als kulturelle Verdichtungspunkte sind sie emotionale Fixpunkte, soziale Rituale und historische Erzählräume. Sie erzählen davon, was uns wichtig ist, woher wir kommen – und was uns verbindet. Wie wir sie begehen, sagt viel über uns aus – über unsere Gesellschaft und über uns selbst. Unser heutiger Kalender ist also ein Mosaik aus alten Mythen, religiösen Bedeutungen und sozialen Funktionen. Manche Rituale sind global verbreitet – etwa die Jack-o'-Lantern zu Halloween –, andere sind regional oder kulturell geprägt, wie der Rosenmontagszug im Kölner Karneval oder das Maibaumstellen im Rheinland. Und irgendwie fühlt sich unser Kalender doch gerade wegen Feiertagen und den damit verbundenen Ritualen genau richtig an, da sie einen natürlichen Rhythmus bilden: An Ostern feiern wir das Wiedererwachen der Natur. Wenn sich ein langes Jahr dem Ende neigt, leuchten Fenster, Tannenbäume und Straßen – wir feiern Weihnachtsfeiern auf der Arbeit, die Weihnachtsfeiertage mit der Familie und verabschieden an Silvester gemeinsam das alte Jahr.
Auch rund um den Globus betrachtet zeigt sich: Die Idee des Feiertags ist universell. Ob chinesisches Neujahrsfest, Diwali oder Nowruz – Feiertage sind ein tief menschliches Phänomen, das kulturell unterschiedlich ausgeformt ist, aber überall ähnliche Funktionen erfüllt.
Gleichzeitig sind Feiertage immer im Wandel: In der Moderne kommen neue Dynamiken hinzu: Digitalisierung, Homeoffice, Social Media verändern, wie wir feiern. Weihnachtsgrüße kommen per WhatsApp und seltener per Post. Manche Feiertage verlieren an Bedeutung, andere werden umgedeutet oder neu geschaffen. So entwickelte sich jüngst der Trend zu "Friendsgiving". Das bedeutet auch: Feiertage sind nie neutral und sie spiegeln gesellschaftliche Aushandlungsprozesse wider. In den USA etwa wird der Kolumbus-Tag zunehmend durch den Indigenous Peoples’ Day ersetzt.
In all dem liegt die Faszination von Feiertagen, die seit Jahrtausenden tief in unserem Wesen verankert sind, uns Stabilität bringen und auch unseren sozialen Kit darstellen: Sie erinnern uns jedes Jahr aufs Neue daran, wer wir sind – individuell und gemeinsam.